Der Chor der Marktkirche und die Ostböhmische Staatsphilharmonie führen Messe und Oper von Pietro Mascagni auf

Montag, 08.11.2021 – Wiesbadener Kurier

Von Manuel Wenda

WIESBADEN. Es wurden zweieinhalb fulminante Stunden: Ein geistliches Werk und eine Oper trafen aufeinander. Unter seinem Leiter Thomas J. Frank präsentierte der Chor der Marktkirche Wiesbaden im Nassauer Landesdom gemeinsam mit der Ostböhmischen Staatsphilharmonie Hradec Králové (Königgrätz) sein Programm „Ein Abend mit Mascagni“. Die Verbindung der Ensembles aus Wiesbaden und Hradec Králové besteht seit Langem und hat dem Publikum bereits viele Konzerte beschert, die in Erinnerung bleiben.

Zunächst erklingt Pietro Mascagnis Messa di Gloria. Unter der Leitung Thomas J. Franks sind Chor, Orchester und Solisten von den ersten Takten an beieinander. In Mascagnis Messe umschmeichelt der melodische Reichtum den Hörer regelrecht, dabei ist ihre geistliche Dimension von ebenso großem Gewicht. Diese Verbindung ist abseits aller Klischees prägend für weite Bereiche der italienischen Kultur, und wird von den Interpreten aufs Schönste vermittelt. Voll tönende Streicher untermalen den Chor der Marktkirche im Kyrie. Anmutig gestaltet der Bariton Dragutin Matic das von den Celli eingeleitete Gratias, schwebend gerät das Duett Domine Deus, das Matic mit dem Tenor Aaron Cawley fesselnd singt; rhythmisch prägnant geht das Orchester zu Werke, das ein fein austariertes Wechselspiel an Farben evoziert und den Gesang trägt. Der Chor der Marktkirche überzeugt durchweg. Während in der Messe die Auferstehung Christi nachvollzogen wird, erinnert die Darbietung an eine Prozession, Becken und Pauke dringen durch; in der Elevation kommen irisierende Signale von der Violine. Weihevoll ist das Agnus Dei.

Handlung führt tief ins ländliche Sizilien Von der Messe zur Oper: Es folgt Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ nach der gleichnamigen Novelle. Die Handlung führt tief ins ländliche Sizilien. Lautmalerisch wird der anbrechende Ostermorgen beschworen – da sind noch Stimmungen der Messe spürbar. Mitreißend musiziert der Chor der Marktkirche, vital ist der Kontrast zwischen dem Gesang der Männer und Frauen im Eingangschor. Der konzertanten Aufführung der Oper mangelt es nicht an Dramatik. Mit Verve dirigiert Frank das „Lied des Alfio“, Dragutin Matic lässt den Fuhrmann derb und fröhlich erscheinen. Die Sopranistin Monika Falcon verkörpert die unglücklich liebende Santuzza, Aaron Cawley den Bauern Turridu, die Mezzosopranistin Anna Haase seine Mutter Lucia. Monika Falcon macht die Verzweiflung Santuzzas ergreifend hörbar, Anna Haase die bange Unruhe Lucias; bewegend ist die Romanze. Der Chor führt stimmgewaltig in die Kirche, Glocken und die von Elisabeth Maranca gespielte Orgel sorgen für wuchtige Steigerungen. In diesen Szenen wird eine zentrale Thematik der „Cavalleria Rusticana“ deutlich: Der Gegensatz zwischen der Welt der Gemeinschaft, die von Ritualen und Konventionen geprägt ist, zugleich Schutz bietet – und dem Innenleben der Menschen auf der anderen; ein ungeheures Spannungsfeld tut sich auf. Anna Haase schlüpft in die Rolle von Alfios untreuer wie verführerischer Frau Lola. Im Hippie-Look kommt sie zum Ensemble, Prisen süffisanter Andeutungen würzen ihre Performance. Die Drastik der Handlung tritt zutage, aber nichts wirkt überladen oder zu dick aufgetragen. Als das „Trinklied“ angestimmt wird, zeichnet sich das Unheil bereits ab. Kurz und hart ist der Schluss – Sekunden später gibt es stehende Ovationen in der Marktkirche.